Rassismus, Antisemitismus und Menschenhass in der veganen Tierrechtsbewegung?

Rezension von Colin Goldner

Quelle: https://hpd.de/artikel/rassismus-antisemitismus-und-menschenhass-veganen-tierrechtsbewegung-17548?fbclid=IwAR35959pt9KActDLI451ezRNsKmZqdW0fOBAB_MmBriYt2EVCfWHk3wZyIo

„Vier Beine gut, zwei Beine schlecht“ ist der Titel eines frisch erschienenen Buchs der Autorin Mira Landwehr. Sie behauptet darin, weiten Teilen der veganen Tierrechtsbewegung seien Rassismus, Ökofaschismus und Menschenhass wesenseigen. Doch diese Behauptung entspricht nicht der Realität, sondern ist Ergebnis einer mangelhaften methodischen Herangehensweise, erklärt Rezensent Colin Goldner.

Vor wenigen Tagen erschien im Hamburger KVV-konkret-Verlag ein 126 Seiten starkes Textbuch, dessen Titel „Vier Beine gut, zwei Beine schlecht“ der 1945 veröffentlichten Erzählung „Farm der Tiere“ von George Orwell entlehnt ist, auch wenn er mit deren Inhalt – die Tiere einer englischen Farm erheben sich gegen die Herrschaft ihres menschlichen Besitzers – überhaupt nichts zu tun hat. Die von den Tieren, genauer: den Schweinen der Farm ausgegebene Kampfparole als Buchtitel soll wohl potentielle Käufer, die Orwells dystopische Erzählung nicht so genau kennen, irgendwie für den „Zusammenhang von Tierliebe und Menschenhass“ interessieren, um den es laut Untertitel gehen soll.

Einen ähnlich suggestiven Trick, Käuferinteresse zu wecken, verfolgt die Abbildung auf dem Cover, die ein altbekanntes Motiv zeigt: Adolf Hitler tätschelt seine Schäferhündin Blondi. Auch wenn es sich gar nicht um eines der 1943 auf dem Obersalzberg gefertigten und millionenfach reproduzierten Propagandabilder des „größten Tierfreundes aller Zeiten“ handelt – tatsächlich ist auf dem Cover nur der Ausschnitt eines Mannes in Wehrmachtsuniform zu sehen, der einen Schäferhund am Halsband festhält –, assoziiert sich doch unmittelbar „Hitler und Blondi“. Und das gewollt, soll es doch, wie gesagt, um den „Zusammenhang von Tierliebe und Menschenhass“ gehen. Und zwar nicht irgendwie und allgemein, sondern um „Tierliebe und Menschenhass in der veganen Tierrechtsbewegung“. Erklärte Absicht der Untersuchung ist es, den nach Ansicht der Autorin ebendieser Bewegung wesenseigenen Rassismus, Ökofaschismus und Menschenhass zu dokumentieren und davor zu warnen.

Als Autorin firmiert eine publizistisch bislang kaum in Erscheinung getretene Mira Landwehr, laut Selbstauskunft studierte Historikerin und Germanistin, die, wie sie mehrfach betont, sich „mehrere Jahre in der Tierrechtsszene“ bewegt habe. Schon Monate vor Erscheinen des Buches war sie damit auf Lesereise gegangen.

Ein strukturelles Problem?

Auch wenn Landwehr in Klappentext und Einleitung ihres Buches einschränkend von „weite(n) Teile(n) der veganen Tierrechtsbewegung“ spricht, die „Rassistinnen, Ökofaschistinnen und andere Menschenfeindinnen an Infoständen, auf Demonstrationen und als ihre medial wirksamen Fürsprecherinnen“ begrüßten, meint sie doch, unschwer erkennbar, die gesamte vegane Tierrechtsbewegung, die sie für durchzogen hält von „sexistische(n), rassistische(n) und antisemitische(n) Einstellungen.“ Vielerorts in der Szene würden solche Einstellungen nicht nur gebilligt, sondern sogar forciert, in Landwehrs Augen ein „strukturelles Problem“.

In kompletter Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse – es gibt nicht mehr als eine kleine Handvoll vegan Tierrechtsbewegter, die in weitestem Sinne als „Rassistinnen, Ökofaschistinnen und andere Menschenfeindinnen“ bezeichnet werden können – behauptet Landwehr, es sei nachgerade „fatal“, hier nur von Einzelfällen zu sprechen. Mehr als eine simple Auflistung ebendieser Einzelfälle hat sie gleichwohl nicht zu bieten.

Auch den Umstand, dass diese paar wenigen Einzelfälle seit Jahren proaktiv und konsequent von Infoständen und Demonstrationen ferngehalten werden und in der medialen Präsenz der veganen Tierrechtsbewegung so gut wie keine Rolle spielen – in den Organen der Szene (Tierbefreiung, Kochen ohne Knochen, Zeitschrift für Kritische Tierstudien etc.)  kommen sie, außer in kritischer Abgrenzung gegen sie, überhaupt nicht vor – verkehrt Landwehr ins komplette Gegenteil. Der „emanzipatorische politische Veganismus“, wie sie schreibt, „den einige (!) Tierbefreiungsaktivistinnen und manche (!) Tierrechtlerinnen vertreten, ist marginal.“ Gemeint ist: es gibt ihn nicht. Dutzende Publikationen, die das genaue Gegenteil belegen, werden ignoriert bzw. als unerheblich abgetan.

Alles Rassisten?

Also alles „Rassistinnen, Ökofaschistinnen und andere Menschenfeindinnen“ in der veganen Tierrechtsbewegung? Ja, meint Landwehr in fortlaufender Bezugnahme auf ihre politische Ziehmutter Jutta Ditfurth, die schon Mitte der 1990er zu dem gleichen Befund gekommen war: in ihrem Buch „Entspannt in die Barbarei: Esoterik, (Öko-)Faschismus und Biozentrismus“ (erschienen ebenfalls bei konkret) hatte Ditfurth darauf hingewiesen, dass Anhänger „rechten Vegan-Denkens“ – ein anderes scheint es für sie bis heute nicht zu geben – „zentrale Elemente eines faschistischen Weltbildes kolportieren (Minderwertigkeit/Höherwertigkeit; Mensch/Tier-Vergleich; Homosexuellen-Hass…usw.)“.

Landwehr führt als Beleg für ihr Hirngespinst eines der veganen Tierrechtsbewegung wesenseigenen Rassismus, Ökofaschismus und Menschenhasses Figuren wie den in der Tat rechtslastigen Esoteriker Ruediger Dahlke an. Dieser vertreibt seit ein paar Jahren vegane Kochbücher, hat darüber hinaus aber mit der veganen Tierrechtsbewegung nicht das Geringste zu tun. Für Landwehr dient er gleichwohl als Beweis für ihre zentrale These des zutiefst rassistischen, ökofaschistischen und menschenfeindlichen Wesens der veganen Tierrechtsbewegung. Zudem kann sie an der Figur Dahlkes (zu dem sie sich über 12 Seiten hinweg auslässt) auch noch die Behauptung anhängen, mit Veganismus gehe „mitunter“ – gemeint ist auch hier: durchgängig – ein „quasi-religiöser Auserwähltheitsglaube mit der Tendenz zu Sektenbildung einher“.

Auch den Begründer der Meeresschutzorganisation „Sea Shepherd“, Paul Watson, hält Landwehr für einen Rassisten, Ökofaschisten und Menschenhasser, mithin deshalb, weil er dem indigenen Volk der Makah, die in einem Reservat im US-Bundesstaat Washington leben, den traditionell betriebenen Walfang zu untersagen fordert. Zum Beleg der menschenverachtenden Einstellung Watsons zitiert Landwehr ein paar (in der Tat ätzende) Facebookeinträge, die irgendjemand aus seiner mehr als eine Million Follower umfassenden Fangemeinde vor ein paar Jahren gepostet hat (bzw. haben soll). Für Landwehr belegen diese Posts den Menschenhass nicht nur Watsons und seiner Mitstreiter, sondern aller, die irgendwie, und sei es nur über Facebook, mit ihm zu tun haben: es zeige sich, wie sie daherraunt, „wes Geistes Kinder hier zusammenfinden“. Als weiteren Beleg für den Rassismus Watsons und seiner Organisation führt sie an, auf irgendwelchen Tierrechtsdemos seien „Sea Shepherd“-Transparente zu sehen gewesen mit dem Spruch „Save a Whale – harpoon a Makah“ („Rette einen Wal, harpuniere eine/n Makah“). Als Quelle dient ihr ein Artikel auf der Website eines Leipziger Jugend-Kulturzentrums von 2007, der sich wiederum auf einen Artikel aus der „Antifaschistischen Zeitung Lotta“ von März 2000 bezieht. Gleichwohl lautet die fettgedruckte Überschrift zu Landwehrs Kapitel über Watson: „Save a Whale, harpoon a Makah: Die Eliminationsphantasien der Meeresschützerinnen von Sea Shepherd“. Es versteht sich, dass Landwehr auch Watson bzw. „Sea Shepherd“ eine „religiöse Konnotation“ andichtet: „Der gute Hirte (im Englischen: good shepherd) ist eine der ältesten und bekanntesten Bezeichnungen für Jesus Christus“. Im Übrigen stehe Watson „in der Tradition von Rassisten wie Konrad Lorenz und Ökofaschisten wie Max Otto Bruker.“

Ansonsten werden ein paar weitere Namen aufgelistet von Personen, die Landwehr für rassistisch, ökofaschistisch oder menschenhasserisch hält (wahlweise bzw. zusätzlich auch für antisemitisch, xenophob, antiemanzipatorisch oder sexistisch), ohne dass für den unbedarften Leser in irgendeiner Weise erkennbar würde, worin deren Rassismus, Ökofaschismus oder Menschenhass denn bestünde; und ohne dass erklärt würde, wie sich aus dem Umstand, dass es solche Personen unbestritten am Rande der veganen Tierrechtsbewegung gibt, herleiten lässt, dass diese insgesamt (oder wenigstens „in weiten Teilen“, wie Landwehr fabuliert) rassistisch, ökofaschistisch oder menschenhasserisch sei.

Hirnriss

Wie nun kommt Landwehr zu ihrer Beobachtung, die vegane Tierrechtsbewegung sei durchzogen von „sexistische(n), rassistische(n) und antisemitische(n) Einstellungen“, ohne dass man ihr Lüge oder vorsätzliche Tatsachenverdrehung unterstellen müsste? Der Hirnriss liegt in ihrem von Ditfurth kopierten Vorgehen: Ist eine Person erst einmal – zurecht oder nicht – als rassistisch, ökofaschistisch oder menschenfeindlich ausgemacht, gelten alle Personen, die auf irgendeine Weise mit ihr in Kontakt gekommen sind, als „infiziert“, wobei es völlig ausreicht, auf einer Demo oder einem Straßenfest zusammen mit dieser Person gesichtet worden zu sein oder eines ihrer Bücher im Regal stehen zu haben. Eine Art ökofaschistischer Schmierinfektion. Dergestalt kann Landwehr die gesamte vegane Tierrechtsbewegung dem rechten Spektrum zuordnen, ohne zu merken, dass sie damit kompletten Unsinn verzapft. Stattdessen wundert sie sich, wie sie im Klappentext ihres Buches wehklagt, „warum es so schwer ist, mit Leuten in der Szene darüber zu sprechen.“

Mira Landwehr: „Vier Beine gut, zwei Beine schlecht“: Zum Zusammenhang von Tierliebe und Menschenhass. KVV konkret, Hamburg, 2019