Interview mit dem Projekt Kritische Aufklärung

Neokonservative Politik wird heute auch mit diffamierenden Antisemitismusvorwürfen durchgesetzt. Verbale, manchmal sogar tätliche Attacken, Rufmordkampagnen, Medienembargos und Sanktionen gegen jüdische Antifaschisten und andere israelkritische Linke sind mittlerweile an der Tagesordnung. Dagegen will das Projekt Kritische Aufklärung (PKA) mit einer Konferenz am 10. Februar 2018 in Berlin Stellung beziehen: Mit Moshe Zuckermann, Rolf Becker, Esther Bejarano, Moshé Machover und Jackie Walker als Redner hat die Veranstaltung ein beachtliches internationales Format. Die Tierrechtsgruppe Zürich sprach für die sozialistische Zeitung vorwärts mit den Initiatoren. Das Interview erschien in der Ausgabe 43/44 vom 21. Dezember 2017.

Projekt Kritische Aufklärung Zur Zeit der Verleumder

 

Eine Konferenz zur «Zeit der Verleumder»

Bitte stellt Euer Projekt kurz vor. Wer seid Ihr und was ist Eure Intention?
PKA ist ein Zusammenschluss marxistischer Linker aus Deutschland und Israel, die grösstenteils seit Jahrzehnten in antifaschistischen Strukturen, Gewerkschaften etc. organisiert sind. Er wurde vergangenen Juli ins Leben gerufen und ist eine Gegenreaktion auf proimperialistische Tendenzen und andere Neigungen zum Rechtsopportunismus vor allem in der deutschen Linken.

Worum geht es bei Eurer Konferenz «Zur Zeit der Verleumder», die den Titel eines Gedichts von Erich Fried trägt? Warum braucht es eine «ideologiekritische Intervention gegen die Instrumentalisierung von Juden, Judentum und der jüdischen Katastrophe», wie es im Untertitel zur Tagung heisst?
Seit Deutschland sich wieder an Angriffskriegen beteiligt, läuft die Produktion von Legitimationsideologien auf Hochtouren. Was schon seit Beginn der Ära des Neoliberalismus in den USA von neokonservativen Denkfabriken vorangetrieben wird, verbreiten seit 1999 auch die ökonomischen Eliten und Regierungen des Rechtsnachfolgers des NS-Staates: Die Botschaft, dass Jugoslawien, Afghanistan, Syrien, Gaza, vielleicht morgen schon der Iran, nicht trotz, sondern wegen Auschwitz bombardiert werden müssen. Wer Einspruch erhebt und gegen diese ideologische Ausschlachtung des bisher grössten Menschheitsverbrechens opponiert, wird als «antisemitische Sau» durch die finstersten Niederungen der Medienlandschaft getrieben, um schliesslich von einer johlenden bellizistischen Hetzmeute «geschlachtet» zu werden. Dabei ist nicht einmal die haarsträubende ideologische Inflationierung und Entleerung des Antisemitismusvorwurfs – und das auch noch vor dem Hintergrund einer bedrohlichen Rechtsentwicklung und real weiterexistierenden, in Teilen der Welt auch noch zunehmenden Antisemitismus – das Schlimmste. Noch tragischer ist, dass ausgerechnet friedensbewegte jüdische Linke, darunter sehr viele Nachkommen von Holocaust-Überlebenden, gegenwärtig Hauptzielscheibe der – unappetitlicherweise häufig von deutschen Täterkindern und -enkeln − initiierten Hass-Kampagnen sind.

Wie ist das zu erklären?
Der israelische Historiker Moshe Zuckermann, einer der Hauptreferenten unserer Konferenz, sagte einmal, dass den Juden in einem emanzipativen universalistisch ausgerichteten Gedenken an Auschwitz, getragen von dem kategorischen Imperativ, dass die Katastrophe sich nicht wiederhole – für niemanden! −, die Rolle eines kollektiven Agnus historiae mundi, also quasi eines Opferlamms der Weltgeschichte zukommt. Weitergedacht sind dann jüdische Linke das Agnus moralis historae mundi. Sie beweisen mit ihrer blossen Existenz, dass trotz der eigenen Leiderfahrung oder der des eigenen Kollektivs ein radikaler Bruch mit der Logik herrschaftlicher Gewalt möglich und es gerade wegen Auschwitz keine Alternative dazu gibt. Als solche Agenten einer ganz anderen Welt, die es noch zu erkämpfen gilt, ziehen sie freilich den blanken Hass derer auf sich, die das Gegenteil wollen: All jener, die für die Durchsetzung ihrer meist alles andere als ehrenwerten Interessen Leichenberge, Elend und Not – natürlich nur der anderen! − billigend in Kauf nehmen, Auschwitz als Argument fürs Weitermorden missbrauchen und fordern, man müsse die unerträglichen Verhältnisse aushalten, weil sie nun mal nicht zu ändern seien. Besonders die Nachkommen von NS-Tätern in Deutschland, die heute immer unverhohlener propagieren, die Wiederholung der von ihren Vätern und Grossvätern begangenen Barbarei sei nur durch weniger schlimme Barbarei zu verhindern, reagieren auf jüdische Linke, die unerschütterlich am Marx‘schen Weltveränderungspostulat festhalten, mit wutschnaubender Raserei.

Zumindest, was den Hass auf israelkritische Juden anbelangt, steht zum Beispiel die Publizistin Jutta Ditfurth, die Moshe Zuckermann als «antizionistischen Antisemiten» tituliert, diesen Leuten offenbar wenig nach …
Ja, Jutta Ditfurth bildet mit ihrer Fangemeinde eine Achse, um die sich viele Schmutzkampagnen gegen jüdische und andere marxistische Linke drehen. Moshe Zuckermann wird während seiner Deutschland-Aufenthalte via Twitter und Facebook regelrecht verfolgt und mit allerlei Niederträchtigkeiten angegangen. Ditfurth ist in Frankfurt auch Stadtverordnete der ÖkoLinX-Kleinpartei, die den «Antinationalen» nahesteht. Um dort vergangenen Sommer eine israelkritische Konferenz zu verhindern, hat Ditfurth auch mit der CDU und anderen bürgerlichen Rechten eine Kundgebung abgehalten, auf der «‹Palästina›, halt’s Maul!» gefordert wurde. Im September hat sie zusammen mit der AfD, CDU u.a. im Stadtparlament für eine Magistratsvorlage gestimmt, in der die zivilgesellschaftliche Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) als «antisemitisch» kriminalisiert wurde.

Apropos unheilige Allianzen: Die wohl israelfreundlichste Partei in der Schweiz ist die SVP. In Frankreich umwerben die Neofaschisten jüdische Wähler. In Deutschland ist es die CDU, ebenso die nationalistische AfD. Was gärt da für eine neue Strategie bei den Rechten?
Sie mausern sich zum Hauptprofiteur der Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs. Israel hat eine ultrarechte Regierung, die mit drakonischer Härte gegen die arabische Bevölkerung und die Flüchtlinge im Land vorgeht, deshalb ist sie für die europäische und US-amerikanische Rechte, welche nächst den Linken die Muslime zum Hauptfeind erklärt hat, als Role Model so attraktiv. Durch die von der «westlichen Wertegemeinschaft» aus knallharten interessenpolitischen Gründen vorangetriebene falsche Identifizierung von Judentum mit Zionismus gelingt es ihnen, sich als Antisemitismus-Bekämpfer zu inszenieren. So können z.B. Alt-Right-Anhänger in den USA ungestört antijüdische Parolen grölen, «Solidarität mit Israel!» fordern und alle Linken, die Israels Besatzungspolitik kritisieren, als «Antisemiten» stigmatisieren.

Warum folgen so viele ehemalige Linke dem politischen Rechtstrend und eifern einer neokonservativ gefestigten Kapitalismusapologie nach, wie das sogenannte Antideutsche oder Antinationale tun?
Die rechte Ideologie und ihre Verblendungsmechanismen wirken – besonders weil die mit der Neoliberalisierung einhergehende Eindimensionalisierung und Entdemokratisierung der politischen Kultur ein derart bedrückendes Ausmass angenommen hat, dass jede nennenswerte Opposition bereits im Keim erstickt wird. Entscheidend ist aber, dass nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus 1989/90 Linke massenhaft übergelaufen sind, und zwar «von der Seite der unterdrückten auf die Seite der unterdrückenden Klasse», wie der Schauspieler und linke Gewerkschafter Rolf Becker das Problem auf den Punkt gebracht hat. Dieser erbärmliche Kniefall und feige Verrat wird dann mit einer angeblich «antideutschen» Gesinnung kaschiert.

Wie zeigt sich das konkret, habt Ihr ein Beispiel?
Man bekennt sich nicht offen zur Agenda 2010, Sozialabbau, Deregulierung der Arbeits- und Finanzmärkte etc., sondern zieht es vor, Massenproteste, die es anfänglich gab und die immer wieder einmal aufkeimen, als «antisemitische Revolte» und ihre Teilnehmer als «Volksgemeinschaft» zu diffamieren. U.a. diese perfide Strategie hat erheblich dazu beigetragen, dass der Widerstand gegen die skrupelloseste Umverteilung von unten nach oben seit Gründung der BRD gestoppt oder schon im Vorwege unterbunden werden konnte.

Im Brennpunkt Eurer Kritik steht auch die Amadeu Antonio Stiftung (AAS). Zumindest dem Anschein nach bekämpft die aber doch den Rechtsextremismus?
Die AAS ist ein Produkt von Gerhard Schröders mehr als heuchlerischem «Aufstand der Anständigen» Ende der 90er. Seine rot-grüne Regierung hat viele Millionen in den Aufbau einer Staatsantifa investiert. Dafür wurden nicht nur Teile der ohnehin geschwächten linksradikalen autonomen Antifa regelrecht aufgekauft, sondern auch mit der AAS eine neue Struktur geschaffen, die nachweislich in Verbindung mit dem Inlandgeheimdienst steht. Entsprechend ist ihr Betriebszweck die Bekämpfung von Rechtsextremismus nicht mit kritischen, sondern mit neoliberalen Theorien, die dem Kapital Persilscheine ausstellen und marxistische Faschismusforschung diskreditieren. Dieses dubiose Engagement gegen rechts fungiert aber auch als Nebelkerze, mit der erfolgreich von der antiemanzipativen Agenda der AAS abgelenkt wird: Die historische Ächtung von Kommunisten und Sozialisten, vor allem wenn sie aktive Antiimperialisten und Antimilitaristen sind. Auch hier kommt die Allzweck-Wunderwaffe des falschen Antisemitismusvorwurfs regelmässig zum Einsatz.

Auf Eurer Konferenz sollen u.a. Gegenstrategien diskutiert werden. Wie können solche aussehen und was braucht es dafür?
Zunächst einmal die Einsicht, dass eine schlagkräftige Linke ihre Verleumder sehr gut kennen, nicht nur deren Erscheinungsformen, sondern deren Wesen studieren und den historischen und politischen Kontext begreifen muss, der die Rechten zu ihren überaus schmutzigen Methoden bewegt. Viele Linke reagieren darauf völlig hilflos, weil ihnen schlichtweg das Wissen über ihre Feinde fehlt. Sie müssen sich dringend reorganisieren und aus der Zielscheibenposition lösen. Moshé Machover, der in Grossbritannien lebende Gründer der israelischen sozialistischen Organisation Matzpen, der auch auf unserer Konferenz sprechen wird, zeigt gerade, wie’s geht: Er hat sich, getragen von einer Welle linker Solidarität, erfolgreich gegen Blairisten und andere neoliberale Ideologen gewehrt, die ihm wegen seiner antizionistischen Anschauungen «Antisemitismus» vorwerfen. Seinen Imperativ «Nicht entschuldigen – angreifen!» sollten sich alle aufgeklärten Linken zu Herzen nehmen.