Birgit Mütherich verstorben

Quelle: http://www.assoziation-daemmerung.de/

Am 16. November 2011 verstarb in Dortmund Birgit Mütherich (Bi), die wohl vielen von Euch/Ihnen durch Texte, Vorträge, Veranstaltungen und Demonstrationen bekannt ist. Birgit Mütherich beeindruckte durch ihr großes Engagement für die Befreiung der Tiere und durch ihre weitreichende Gesellschaftskritik, ihre umfassenden Kenntnisse, ihre brillante Formulierungsgabe, ihren wissenschaftlichen Stil und ihre persönliche Ausstrahlung

Nachruf von Renate Brucker und Melanie Bujok

Ebenso wie sich Birgit Mütherich gegen die speziesistische Unterdrückung der nichtmenschlichen Tiere einsetzte, kritisierte sie im intrahumanen Bereich Diskriminierung und Ausbeutung, vor allem soziale Ungleichheit und Ausschließung, Rassismus und Homophobie. Ihre Kritik verband Bi dabei mit einer allgemeinen Kritik der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse (auch wenn sie dies in ihren Texten oftmals nicht in dieser Deutlichkeit zum Ausdruck brachte, tat sie dies um so intensiver im persönlichen Gespräch). Unermüdlich führte sie hierzu Diskussionen – von der Kassiererin im Supermarkt bis zu den Kollegen im Forschungsinstitut und den Aktiven der Tierrechtsbewegung . Dabei versuchte sie stets die verschiedenen Unterdrückungsformen in ihrer Gesellschaftskritik zu berücksichtigen, aufeinander zu beziehen und ihre gemeinsame Wurzel offenzulegen. Ihren diesbezüglichen komplexen Ideen waren plumpe und skandalisierende Vergleiche gesellschaftlicher Katastrophen ebenso fremd wie vorschnelle und oberflächliche Analysen und Veröffentlichungen oder selbstdarstellerische Attitüden.

In der Folge hinterlässt Birgit Mütherich leider nur wenige, dafür aber präzise durchdachte und formulierte Veröffentlichungen (siehe untenstehende Auflistung). Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule, die philosophischen Ansätze Friedrich Nietzsches und Arthur Schopenhauers und die Friedens- und Konfliktforschung von Johan Galtung haben ihre wissenschaftliche Arbeit auf den Gebieten der Friedens-, Konflikt- und Gewaltforschung sowie der Gender- und Alteritätsforschung maßgeblich beeinflusst. Birgit Mütherich hat sich zeitlebens, bereits während ihrer Schulzeit und ihres Studiums und später während ihrer sozialwissenschaftlichen Tätigkeiten mit Fragen des gesellschaftlichen Verhältnisses zu den nichtmenschlichen Tieren und des Speziesismus auseinandergesetzt – trotz persönlicher Nachteile. Bi war hierbei von der Notwendigkeit einer interdisziplinären Vermittlung, v.a. der Sozial- und Naturwissenschaften überzeugt. Sie selbst verstand sich somit nicht nur – ihrem Abschluss an der FernUniversität in Hagen entsprechend – als Sozialwissenschaftlerin, sondern auch als Philosophin und Naturwissenschaftlerin. Veterinärmedizinerin – diesen Beruf hätte Bi, die sehr viele große Begabungen besaß, u.a. im sprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen und technischen Bereich, eigentlich gerne ausgeübt. Aber auch im musischen Bereich, u.a. in der bildenden Kunst zeigte Bi, dass sie im begrifflich sehr weit gefassten Sinne eine Universalkünstlerin war; einige der von ihr gemalten Bilder schließen an ihre Lebenserfahrung sowie politische und wissenschaftliche Einsichten an und zeugen von der Auseinandersetzung mit dem Schrecken gesellschaftlicher Macht und Gewalt.Letztlich glaubte sie in der wissenschaftlichen Bearbeitung gesellschaftlicher Prolemene eine größere Wirksamkeit entwickeln zu können und arbeitete an der Sozialforschungsstelle Dortmund mit dem Schwerpunkt Jugend-, Migrations-, Gender- und Arbeitsforschung und zuletzt als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Dortmund.

Mit ihrem Buch Die Problematik der Mensch-Tier-Beziehung in der Soziologie: Weber, Marx und die Frankfurter Schule und weiteren Texten wirkte sie bahnbrechend für die Human-Animal Studies im deutschen Sprachraum. Maßgeblich auf sie ging die Einrichtung von Arbeitsgruppen zur Mensch-Tier-Beziehung bei der Tagung des Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen und Soziologen 2003 in Dortmund und auf dem 33. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2006 in Kassel zurück. Mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit sah Bi sich als Teil der Tierrechtsbewegung und versuchte in Vorträgen den anderen Aktiven der Bewegung ihre wissenschaftlichen Erklärungen zu vermitteln. Zudem gab sie wichtige Texte zur Veröffentlichung auf bewegungsinternen Websites und für den Duck frei.

Bi war jedoch stets auch selbst politisch aktiv. Längere Zeit arbeitete sie mit in der Landesarbeitsgemeinschaft Mensch und Tier der Grünen NRW und in PAKT („Politischer Arbeitskreis für Tierrechte in Europa“). Sie nahm in den achtziger und neunziger Jahren an fast allen wichtigen Demonstrationen für Tierrechte teil, u.a. an der ersten Antistierkampfdemonstration in Madrid 1989 und an internationalen Konferenzen, z.B. in Tossa de Mar 1991 oder in Wien 2002. Bei aller ihr eigenen Konsequenz war Bi dabei bestrebt, soweit dies möglich und tragbar war, breite Bündnisse zu schließen, u.a. bei den Demonstrationen gegen die Ausstellung „Jagd und Hund“ vor der Westfalenhalle in Dortmund.Nicht zuletzt aufgrund ihrer Einsicht, dass das Macht- und Gewaltverhältnis gegenüber Tieren nicht ohne einen grundlegenden gesellschaftlichen und vor allem ökonomischen Wandel herbeizuführen ist und ihrer Ansicht, dies über den Weg der Parteipolitik mit anstoßen zu können, engagierte sie sich in den letzten Jahren in der Partei Die Linke.

Bei aller wissenschaftlichen und politischen Arbeit zog Bi schon sehr früh Konsequenzen für die Alltagspraxis. Sie gehörte zu den ersten Tierrechtler_innen, die sich vom Vegetarismus, zu dem sie sich schon seit dem 10. Lebensjahr entschlossen hatte, zum Veganismus weiterentwickelten. Sie problematisierte auch sehr früh die Verwendung von Leder und anderen tierlichen Produkten und achtete vor allem auf eine nichtdiskriminierende Sprache im Bezug auf Tiere. Dabei waren für Bi die Eigenschaften von Tieren unerheblich: Wer sie zu Hause besuchte weiß um all die Vorsichtsmaßnahmen und Rettungsaktionen auch für Insekten und andere kleinste tierliche Individuen, die im großen politischen Diskurs meist wenig Beachtung finden. Im Mittelpunkt ihrer politischen und wissenschaftlichen Arbeit stand letztendlich immer das konkrete Individuum und sein Leiden. So war Bi von Anfang an Mitglied von free animal, wo sie im Laufe der Zeit eine Reihe von Patentieren unterstützte. Über Jahrzehnte pflegte sie zudem traumatisierte oder ältere Katzen, setzte sich nicht nur theoretisch, sondern auch auf praktischer Ebene mit Gewalthandlungen und deren körperlichen und psychischen Folgen für die Opfer auseinander.

Birgit Mütherich hinterlässt in ihrer Lebensgemeinschaft neben ihrem menschlichen Lebensgefährten Frank die zwei Kater Chacky und Tommy.

Die soziale Bewegung für die Befreiung und die Rechte der Tiere wird die brillante Rednerin und scharfsinnige Analytikerin vermissen, deren Ideen bei der Lösung ihrer zahlreichen Fragen und Probleme schmerzlich fehlen werden.

Die Tiere verlieren mit ihr eine warmherzige, empathische und mutige Kämpferin für ihre Rechte und ihre Befreiung.

Anstelle freundlich zugedachter Blumen, Kränze oder ähnlichem bitten wir um eine Spende an den Verein „free animal“, Kennwort Birgit Mütherich (Infos: http://www.free-animal.de).