Kapitalismus mit tierfreundlichem Antlitz

Quelle: https://revoltmag.org/articles/kapitalismus-mit-tierfreundlichem-antlitz/

Die Heinrich-Böll-Stiftung (HBS), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Monatszeitung Le Monde Diplomatique haben in Januar den mittlerweile vierten Fleischatlas herausgegeben. In der aktuellen Ausgabe geht es aber nicht in erster Linie um „Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel“ (Fleischatlas 1 und 2) oder deren regionale Verteilung in Deutschland (Fleischatlas 3). Dieses Mal geht es um „Rezepte für eine bessere Tierhaltung“. Mit anderen Worten: 20 AutorInnen machen in 18 Kapiteln Vorschläge für „einen vernünftigen und grundlegenden Umbau der Tierhaltung“ (S. 7) auf jeder Ebene der Wertschöpfungskette von der Geburt der Tiere bis zum Stück Fleisch auf dem Teller. Das ist zumindest der Anspruch.

Das Problem ist allerdings, dass das Dreigestirn aus Denkfabrik, Umwelt-NGO und linksliberaler Zeitung das „bisherige Modell der Fleischproduktion“ (S. 6) gar nicht revolutionieren, sondern lediglich zu einer „nachhaltigen Fleischproduktion“ (S. 7) transformieren will. Keine Dialektik von Reform und Revolution, nur Reform. Das ist ein Unterschied ums Ganze. Zumindest für die Tiere, die allein in Deutschland jährlich zu Millionen gentechnisch manipuliert, eingesperrt, misshandelt und industriell getötet werden; für das Heer der arbeitenden Armen, vor allem die Leih- und Vertragsarbeiter aus Osteuropa, in den Schlachtstraßen der neoliberalisierten Oligopolkonzerne; und für die Natur, die vom Fleischkapital zerstört wird (Flächen- und Wasserverbrauch, Gesundheitsgefährdung, Verlust an Biodiversität, Wasser- und Bodenverschmutzung, CO2-Emissionen). [1]

Die kapitalistischen Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse, die diesen Missständen zugrunde liegen, und von denen bekanntlich nur einige wenige KapitalistInnen profitieren, tasten die WegbereiterInnen eines „grünen“ Kapitalismus gar nicht erst an. Zwei Autoren gemahnen sogar, dass die Maßnahmen „WTO-verträglich“ (S. 15) sein müssten. Der Markt gilt auch nicht als Teil des Problems, sondern als opportunes Mittel zur Veränderung. Ideen zur Lösung der sozialen Frage? Fehlanzeige. Die Ausbeutung von Tieren oder der Konsum von Fleisch? An sich kein Problem.

Die TierschutzideologInnen treibt vielmehr die Massentierhaltung und zu viel Fleischkonsum um. In ihren Augen handelt es sich bei der Fleischproduktion, -distribution und -konsumtion um ein Problem der Quantität, nicht der Qualität. Als ob die Fleischproduktion nur ökologisch fragwürdig und die Ökologie lediglich eine Frage der Tragfähigkeit wäre. Entsprechend des bornierten Problembewusstseins ist der „Kanon“ politischer Instrumente, mit dem der Übergang zum Kapitalismus mit tierfreundlichem Antlitz bewerkstelligt werden soll, in seiner Reichweite begrenzt. Faktisch dienen sie dazu, die Fleischproduktion „zukunftsfähig“ zu machen, wettbewerbsfähig gegenüber der Konkurrenz und zustimmungsfähig gegenüber Teilen der KritikerInnen. Kein Wunder also, dass einige – nicht alle – Ideen gar nicht so weit weg sind von den Vorschlägen, die in diesem Jahr während des Klassentreffens von KapitalistInnen und StaatsvertreterInnen beim World Economic Forum (WEF) in Davos zur Transformation der Fleischindustrie gemacht worden sind.

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