„Die Befreiung der Tiere muss Teil klassenkämpferischer Theorie und Praxis werden“

In der neuesten Ausgabe der sozialistischen Zeitung Vorwärts vom 22. November 2013 ist ein Interview mit der Tierrechtsgruppe Zürich erschienen. Dieses findet ihr unten oder auch als PDF in unserer Materialsektion zum runterladen.

Interview Vorwärts

tho. Der Marxismus enthalte kein Argument gegen die Befreiung von Tieren, sagt die Tierrechtsgruppe Zürich. Vielmehr liefert er ihr entscheidende Anstösse zur Kritik der bestehenden Gesellschaft. Im Interview erklärt die Gruppe, warum die Befreiung dieser Gesellschaft auch die Befreiung der Tiere mit einschliessen muss.

 

Vorwärts: Die Tierrechtsgruppe Zürich setzt sich für die Befreiung von Mensch und Tier ein. Was versteht ihr unter Tierbefreiung?

Tierrechtsgruppe Zürich: Die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung unterscheidet sich grundlegend vom Tierschutz. Dieser fordert bloss grössere Käfige oder bessere Haltungsbedingungen ohne der Ausbeutung und Ermordung von Tieren grundsätzlich ein Ende setzen zu wollen. Die Arbeit des Tierschutzes nützt dabei oftmals eher der Tierindustrie als den Tieren selbst. So beteiligt er sich immer wieder an der Organisierung der Tierausbeutung wie auch an der Produktion von Ideologie zu ihrer Rechtfertigung („artgerechte Haltung“, „humane Tötung“, „Bio-Fleisch“ etc.).
Im Gegensatz dazu fordert die linke Tierbefreiungsbewegung, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse umzuwerfen, um eine befreite und solidarische Gesellschaft zu schaffen, deren Verwirklichung auch die Beendigung des Ausbeutungsverhältnisses gegenüber Tieren einschliesst. Denn die kapitalistische Produktionsweise untergräbt nicht nur die ArbeiterInnen, sondern auch die Natur und Tiere. Die Unterdrückung von Tieren ist dabei genauso wenig naturgegeben wie die Unterdrückung der besitzlosen Klasse. Ob im Produktionsprozess oder den Kriegen dieser Welt, das Leid und Elend von Menschen und Tieren sind Resultat eines gesellschaftlichen Verhältnisses, das sich geschichtlich entwickelt hat und somit auch historisch überwunden werden kann. Deshalb fordert die Tierbefreiungsbewegung als Teil der klassenkämpferischen Linken, dass nicht nur Menschen, sondern auch Tiere aus diesem gesellschaftlichen Unterdrückungsverhältnis befreit werden müssen.

 

Ihr versucht innerhalb und ausserhalb der radikalen Linken Fragen um Tierausbeutung zu thematisieren. Wie sieht eure politische Arbeit aus?

Zunächst einmal gehört zu unserer Arbeit der Kampf gegen die Ausbeutung von Tieren in Schlachthöfen, Versuchslaboren oder der Pelzindustrie. Wir beteiligen uns an Kampagnen gegen Unternehmen, um bestimmte Forderungen durchzusetzen und organisieren Demos sowie Aktionen. Auch die Solidaritäts- und Unterstützungsarbeit für von Repression betroffene GenossInnen und das Verbreiten von Communiqués der Animal Liberation Front ist Teil unserer Arbeit. Ein weiteres Arbeitsfeld ist die Theoriearbeit und das Organisieren von Vorträgen. Die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung in der Schweiz ist sehr jung und hat noch viele Kinderkrankheiten. Sie verfügt über kein politisches Theoriekonzept und keine fundierte Gesellschaftsanalyse. Ihre Argumentation bleibt daher oft bürgerlich-idealistisch und zielt in erster Linie auf eine Veränderung im individuellen (Konsum-)Verhalten ab – anstatt auf eine Veränderung der Produktions- und Eigentumsverhältnisse. Demgegenüber gilt es, eine kritische Theorie zur Befreiung der Tiere auf Grundlage des Historischen Materialismus und der Kritik der politischen Ökonomie zu entwickeln. Wir sind davon überzeugt, dass es ohne eine solche Theorie keine revolutionäre Praxis im Sinne einer Befreiung von Mensch und Tier geben kann. Hier kommen wir zu einem dritten Arbeitsfeld: die Beteiligung an Mobilisierungen und Bündnissen der radikalen Linken. Dieser Arbeit liegt die Überzeugung zu Grunde, dass die Kämpfe gegen verschiedene Ausbeutungsverhältnisse als Teil eines gemeinsamen Klassenkampfes gegen die Herrschaft des Kapitals begriffen werden müssen. Unsere Arbeit innerhalb der Linken bleibt ihr gegenüber daher auch nicht kritiklos. Denn eine Mehrheit der Linken spricht sich bloss für einen „verantwortungsvollen Umgang“ mit Tieren und nicht gegen die Gewalt an Tieren aus. Sie bleibt damit reformistisch, anstatt für die Befreiung der Tiere aus den gesellschaftlichen Unterdrückungsverhältnissen zu kämpfen.

 

Interview Vorwärts

Ihr schreibt, dass die Kritik am Speziesismus und die Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise sich nicht trennen lassen würden. Könnt ihr das etwas ausführen?

Dieser Satz richtet sich sowohl an die bürgerliche Tierrechtsbewegung, welche versucht eine Kritik an Tierausbeutung zu formulieren, ohne über den Kapitalismus zu sprechen, als auch an eine radikale Linke, welche antikapitalistische Politik betreibt, ohne Tiere zu berücksichtigen.
Die bürgerliche Tierrechtsbewegung hat einen metaphysischen Begriff von Speziesismus. Demnach wird Gewalt gegen Tiere von einem moralischen Vorurteil des Menschen produziert. Mit einer solchen metaphysischen Konzeption können wir die Ausbeutung der Tiere jedoch weder verstehen, noch überwinden. Denn es verhält sich gerade umgekehrt, wie der marxistische Philosoph Marco Maurizi formuliert: „Wir beuten Tiere nicht aus, weil wir sie für niedriger halten, sondern wir halten Tiere für niedriger, weil wir sie ausbeuten.“ Dies bedeutet, speziesistische Ideologie ist nicht Ursache, sondern Resultat der tierausbeutenden Praxis. Somit müssen wir Speziesismus historisch erklären, aus der Art und Weise, wie eine Gesellschaft organisiert ist. Eine historisch-materialistische Analyse zeigt, dass die gegenwärtige Unterdrückung und Ausbeutung der Tiere ihre Grundlage in der kapitalistischen Produktionsweise hat. Tiere werden in der kapitalistischen Wirtschaft ausgebeutet, um sie in Wert zu verwandeln, das heisst sie werden zu Produktionsmitteln und Waren gemacht. Ihre Ausbeutung ist somit untrennbar verknüpft mit der Unterordnung allen Lebens unter die Profitinteressen des Kapitals. Es ist also keineswegs „der Mensch“, der von der industriellen Tierausbeutung profitiert, sondern in erster Linie die herrschende Klasse. Stünden die gesellschaftlichen Produktivkräfte nicht unter dem Diktat des Kapitals, könnten sie zu friedlichen Zwecken genutzt werden, so dass weder Menschen an Hunger sterben noch Tiere geschlachtet werden müssten.

 

Ihr bezieht euch auf die Kritische Theorie von Adorno, Horkheimer, Marcuse und anderen. In dieser geht es auch um ein instrumentelles Verhältnis der Menschen zur Natur. Dieses Verhältnis müsste sich in einer befreiten Gesellschaft ganz anders gestalten. Was meint ihr dazu? Und ist es nicht etwas einengend, wenn ihr euch lediglich die Tierrechte auf die Fahnen schreibt?

Es war nie und es ist nicht zutreffend, dass wir uns nur für die Rechte und die Befreiung der Tiere einsetzen. Auf unseren Fahnen, die wir auf Demos und Protesten mittragen, steht nicht ohne Grund die Parole Class Struggle – Animal Liberation. Dahinter steht die Überzeugung, dass es falsch ist, verschiedene Formen der Unterdrückung und die Kämpfe dagegen gegeneinander auszuspielen. Eine Befreiung der Tiere ist nicht möglich ohne eine Befreiung der Menschen, besser gesagt: ohne eine Befreiung der besitzlosen Klasse und die Überwindung der kapitalistischen Klassengesellschaft. Gleichzeitig kann eine radikale Linke die Ausbeutung und das Leid der Tiere nicht einfach ignorieren, wenn sie den Befreiungsbegriff nicht bloss als Farce verwenden will. Die Befreiung der Tiere muss deshalb Teil einer klassenkämpferischen Theorie und Praxis werden.
In der Kritischen Theorie lassen sich dafür einige wichtige Ansätze finden. Die „Frankfurter“ zeigen in ihrer materialistischen Zivilisationskritik, wie die Geschichte der Herrschaft von Menschen über Menschen und die Geschichte der Beherrschung der Natur und der Tiere miteinander verwoben sind. So verstehen sie die heutige lückenlose Ausbeutung der Tiere als gesellschaftlich vermittelt und fordern eine Solidarität, die keine Speziesgrenzen kennt: „Eigentlich ist ja die Solidarität, die wir mit den Menschen in Not fühlen dieselbe wie die mit dem Tier, in der Qual erweist sich ihre Identität“, schreibt Max Horkheimer. Aus dieser Perspektive müsste man die gestellte Frage nun umgekehrt stellen: Wie kann es der grösste Teil der radikalen Linken eigentlich rechtfertigen, das gesellschaftlich produzierte Leiden der Tiere immer noch auszublenden?

 

Die Marxsche Theorie scheint in eure Überlegungen eingeflossen zu sein. Bei Marx geht es aber nicht um Tierausbeutung und in den «Grundrissen» etwa lässt sich gar eine kurze Stelle finden, in der Marx eine Herrschaft über Tiere abstreitet, weil diese keinen Willen hätten. Müsste man eurer Meinung nach die Marxsche Theorie ihrem Entdecker entwinden?

Grundsätzlich lässt sich nicht leugnen, dass Marx und Engels sich nicht für die Befreiung der Tiere interessiert haben. Dies ist für uns aber auch gar nicht entscheidend, denn Marxismus war nie gleich „die Auffassung von Marx“. Uns geht es weniger um die Position von Marx zu einem spezifischen Unterdrückungsverhältnis, mit dem er sich kaum beschäftigt hat, als um das Werkzeug, das er uns hinterlassen hat, um solche Verhältnisse zu analysieren und daraus eine revolutionäre Praxis anzuleiten. Das heisst, wir bezwecken auf Basis des Historischen Materialismus und der Kritik der politischen Ökonomie eine kritische Gesellschaftstheorie zur Befreiung der Tiere zu entwickeln. Wir denken nicht, dass diesbezüglich von einem „Entwinden“ der Marxschen Theorie geredet werden kann, denn es gibt kein marxistisches Argument gegen die Befreiung der Tiere. Vielmehr scheint es uns unhaltbar, für eine befreite Gesellschaft zu kämpfen, aber an der Ausbeutung und Ermordung von Tieren festzuhalten. Wenn wir eine wirklich solidarische und freie Gesellschaft wollen, dann dürfen wir uns nicht blind gegenüber dem Leiden anderer Kreaturen stellen. Dies wusste bereits Rosa Luxemburg: „Rücksichtsloseste revolutionäre Tatkraft und weitherzigste Menschlichkeit, dies allein ist der wahre Odem des Sozialismus. Eine Welt muss umgestürzt werden, aber jede Träne, die geflossen ist, obwohl sie abgewischt werden konnte, ist eine Anklage; und ein zu wichtigem Tun eilender Mensch, der aus roher Unachtsamkeit einen Wurm zertritt, begeht ein Verbrechen.“

 

Erschienen in: Vorwärts, die sozialistische Zeitung, 22.11.2013, 69. Jahrgang, Nr. 41/42. www.vorwaerts.ch